Die Pulfrich-Illusion (auch: Pulfrich-Effekt) beruht auf der Tatsache, dass unser Auge dunkle Bilder langsamer verarbeitet als helle. Der deutsche Physiker und Begründer der Stereophotogrammetrie Carl Pulfrich beschrieb, wie ein schwingendes Pendel plötzlich zu kreisen scheint, wenn ein Auge abgedunkelt wird (z.B. durch eine dunkle Folie oder durch das Glas einer Sonnenbrille). Die Richtung der Drehung ist dabei vom abgedunkelten Auge abhängig.
Der gleiche Effekt kann auch bei einem sich sinusförmig bewegenden Kreis beobachtet werden. Halten Sie zum Testen eine dunkle Folie oder das Glas einer Sonnenbrille vor ein Auge. Am besten funktioniert es, wenn man die Sonnenbrille umdreht (Bügel nach vorne) und senkrecht hält. Es dauert manchmal einige Zeit, bis sich das Auge daran gewöhnt und der Effekt eintritt, er verstärkt sich dann aber mit der Zeit. Als Hilfestellung können Sie sich vorstellen, der Kreis dreht sich einmal im und einmal gegen den Uhrzeigersinn. Nur in einer Drehrichtung funktioniert diese Vorstellung. Dunkelt man das andere Auge ab, dreht sich der Kreis in die entgegengesetzte Richtung.
Der Effekt lässt sich auch auf andere Weise leicht testen. Das Flimmern des Fernsehers lässt auf diese Weise einen hohlen Zylinder entstehen. Je nach Bewegung der Punkte scheinen sie sich auf der Vorder- oder Rückseite dieses Zylinders zu befinden, der sich langsam dreht. Manchmal wirkt zu Beginn nur der Fernseher stärker gewölbt und es dauert eine kurze Zeit, bis der Zylinder wahrgenommen werden kann. Auch bei Zugfahrten können bei einem Blick aus dem Fenster mit einem abgedunkelten Auge interessante Effekte erzielt werden. Dabei wird jenes Auge abgedunkelt, dass sich aus Sicht der Fahrtrichtung weiter hinten befindet. Vorbeikommende Bäume erscheinen plötzlich viel plastischer und näher. Den Test bei Autofahrten durchzuführen empfiehlt sich jedoch nur für Mitfahrer. Je länger das eine Auge abgedunkelt ist, desto stärker ist der Effekt. Aber wodurch kommt er zustande?
Dunkle Bilder werden ca. 1/50 sek langsamer verarbeitet als helle. Daher erscheint das Bild für das abgedunkelte Auge verspätet. Angenommen, das rechte Auge wird abgedunkelt. Dann verarbeitet das Hirn das gerade angezeigte Bild für das linke Auge und gleichzeitig das Bild von 1/50 sek vorher für das rechte Auge. Das Bild für das rechte Auge erscheint somit etwas verschoben. Der weiße Kreis aus dem oberen Beispiel befindet sich daher für das abgedunkelte Auge an der Position, an der er 1/50 sek vorher war. Die gleiche Verschiebung ergäbe sich auch bei einem bewegten Bild in einem Video. Unser Gehirn nimmt jedoch nun nicht zwei Kreise bzw. zwei getrennte Bilder wahr, sondern nur einen und berechnet aus der Verschiebung die räumliche Tiefe.
Wahrgenommen werden also zwei unterschiedliche Positionen des Kreises. Das Hirn geht allerdings davon aus, dass es sich nur um einen Kreis handelt. Wäre der Kreis in beiden Fällen an der gleichen Stelle, würde das Hirn die Position des Kreises genau bestimmen können, da sich die beiden Sichtkegel für das rechte und das linke Auge genau an dieser Position schneiden würden. Da die Positionen der beiden Bilder hier nicht ident sind, verschiebt sich der Schnittpunkt der Sichtkegel und damit die vermeintliche Position des Kreises, wie folgende Grafik illustrieren soll:
Bei normaler Fortbewegung in einer Richtung, nehmen beide Augen das gleiche Bild zeitlich verschoben wahr. Dies geschieht durch die räumliche Entfernung zwischen den beiden Augen. Wenn sich der Kopf also um den Augenabstand weiterbewegt hat, befindet sich das zweite Auge an der Position, an der vorher das erste war und erhält das gleiche Bild (nur zeitlich verschoben). Diese eigentlich aus der Bewegung und dem Augenabstand resultierende Verzögerung kann künstlich durch den Pulfrich-Effekt erzielt werden und ermöglicht es, 3-dimensionale Kurzvideo-Sequenzen zu simulieren, obwohl es sich nur um ein einzelnes, gleichmäßig bewegtes Video handelt.
Eingesetzt wird dieser Effekt heute sowohl in der Medizin (Diagnose diverser Krankheiten wie Syphilis oder Multiple Sklerose) als auch in der Unterhaltungsbranche.
In Film und Fernsehen ist der Pulfrich-Effekt auch als "Nuoptix-Verfahren" bekannt. Die dafür verwendete Brille dunkelt das rechte Auge ab. Objekte, die sich gleichförmig nach rechts drehen oder nach rechts bewegen, können daher räumlich wahrgenommen werden. Diese Technik ist ohne zusätzlichen technischen Aufwand auch für einfache Experimente einsetzbar. Allerdings können Filme nicht ausschließlich aus Linksschwenks und sich nach rechts drehenden Objekten bestehen - bzw. aus Rechtsschwenks und sich nach links drehenden Objekten, wenn man das linke Auge abdunkelt.
Als Beispiel kann hier ein kleines Testvideo eines sich drehenden Sessels heruntergeladen werden. Wird das rechte Auge abgedunkelt, erscheint der Sessel 3-dimensional. Es empfiehlt sich, das Video in einer Endlosschleife abzuspielen, um den Effekt länger einwirken lassen zu können, aber es funktioniert auch so.
Thonetsessel (640 x 480, 1.515 kB)
Thonetsessel (320 x 240, 804 kB)