Geschichte der Perspektive in der Bildgestaltung

Schon in den Anfängen der Kunst versuchte man, die dreidimensionale Welt auf eine zweidimensionale Fläche zu bringen. Dies bedeutete die Auseinandersetzung mit perspektivischen Problemen bei bildlichen Darstellungen. Sogar die Maler und Zeichner der urzeitlichen Periode waren sich bei ihren kolorierten Darstellungen von Tieren (im Profil) dieser Schwierigkeit bewusst. Nur ab und zu kommt in den Bildern ein Körperteil eines Tieres in perspektivischer Verkürzung zum Ausdruck.

Da die Darstellungen der Babylonier und Ägypter von neben- und übereinander gereihten Dingen geprägt sind, kann man auch hier noch nicht von Perspektive sprechen. Man betrachte nur einmal die ägyptischen Wandreliefs, wo die menschliche Figur ohne Kürzung der Gliedmaßen frontal gezeigt werden, Kopf und Füße dagegen im Profil. Das Auge wiederum wird frontal gezeigt. Ähnlich arbeiteten auch die Perser.

Kommen wir nun zu den Griechen. Sie haben die Perspektive im 6. Jahrhundert v. Chr. sozusagen "entdeckt". Dies hatte massive Auswirkung auf das Kunstschaffen im vorderen Orient, Indien, Ostasien und im Westen. Die griechische Vorabeit beeinflusste auch die Neuentdeckung der Perspektive im 15. Jahrhundert. Dass die ausgerechnet Griechen sie in den Dienst der Lösung von Raum- und Gestaltungsproblemen stellten, war kein Zufall. Bernhard Schweitzer führt dies in seiner Schrift "Vom Sinn der Perspektive" (Tübingen 1953) auf eine spezielle Form der Wirklichkeitsauffassung zurück. 

In der ersten Phase der Entwicklung, die Schweitzer die Phase der "Körperperspektive" und "Teilperspektive" bezeichnet, wird jeder einzelne Körper in seiner eigenen Perspektive dargestellt, ohne Bezug zum Ganzen oder zum Raum. Es gibt also keinen Zusammenhang der Dinge im Gesichtsfeld des Bildes. Dies kann  man im Bild unten gut erkennen.

 

Krater des Niobidenmalers

 Krater des Niobidenmalers, um 45. v. Chr.

 

Die zweite Phase führt zur "Raumperspektive". Hier sind die Bildelemente dem perspektivischen Bildraum untergeordnet. Dennoch gelten hier nicht die strengen Regeln der Perspektivkonstruktion, wie wir sie kennen, da die Darstellungen im geometrischen Sinn immer noch falsch wirken und es auch sind. Daher sei laut Schweitzer die Raumperspektive eine Art Waage zwischen reiner Körper- und Konstruierender Perspektive. Was auf den Ursprung der Raumperspektive hinweist, ist das griechische Wort Skenographia, welches Perspektive heißt und eigentlich Bühnenmalerei bedeutet. Daraus lässt sich schon ablesen, das die Raumperspektive vom Bühnenbild ausgeht (wirklichkeitsnahe Darstellungen von Häusern, Fassaden, Säulen, Dächern, Türen etc. welche die griechischen Theaterkulissen kennzeichnen).

Gelehrte und Philosophen, wie z. B. Anaxagoras, Demokrit, Euklid oder Heron (Wegbereiter für Arbeit des Ptolemäus) machten die Perspektive zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und gründeten eine Theorie der Perspektive, die im 5. Jahrhundert feststand. Leider dauerte es noch hundert Jahre, bis sie Einzug in die freie Kunst hielt, da die Künstler der Ansicht waren, die Perspektive sei etwas Subalternes (bedeutet so viel wie untergeordnet, unselbstständig). Der anfängliche Widerstand konnte die Anwendung der Theorie der Perspektive nicht verhindern, auch wenn sie für die damaligen griechischen Künstler einen großen Umsturz in der Art des "malerischen" Denkens darstellte. Sie war auch für die abendländische Kunst der Neuzeit von größter Bedeutung.

Dennoch vollzog sich die Entwicklung der Perspektive nicht als geregelter Ablauf. In einem sehr langen Überganszeitraum zwischen Alterum und Frührenaissance wurde sie teilweise vergessen oder im Kunstschaffen irrelevant. Als der eigentliche Begründer der modernen Perspektive gilt Filippo Bruneschelli, Erbauer der Domkuppel in Florenz. Großen Verdienst leistete auch der Architekt und Gelehrte Leon Battista Alberti mit seinem Werk "de pictura", worin er die Entstehung des Perspektivbildes als Schnitt der Sehstrahlenpyramide mit der Bildebene beschreibt. Er entwarf ein Netz zur Bestimmung der Raumtiefe und Größenverhältnissen beim Abzeichnen sowie ein Verfahren zur Ermittlung des Distanzpunktes. 

In Italien also wurde die Perspektive wiederentdeckt, über Burgund wanderte sie in die Niederlande und beeinflusste von dort aus wieder die deutsche Malerei vor Albrecht Dürer. Auch die Namen der größten Künstler der Renaissance dürfen hier nicht vergessen werden, welche mit ihren Werken Wesentliches zur Entwicklung und Praktizierung der Perspektive beigetragen haben: Leonardo da Vinci ("Traktat der Marelei"), Raffael und Michelangelo (Kultivierung der "ars perspectiva").

Die erste deutsche Arbeit über die Perspektive ist Albrecht Dürers Abhandlung in seiner "Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien ebnen und gantzen corporen".  Darin versteht Dürer die Entstehung der Perspektive ähnlich wie Alberti (s.o.). Dürer konsturierte das Perspektivbild eines Objekts aus seinem Grund- und Aufriss. Dasselbe Prinzip wendet er auch bei Schatten an. Darüber hinaus erfand der die "Spinnenlinie" und befasste sich intensiv mit Problemen der Geometrie. Unten ist ein Bild aus seiner Abhandlung dargestellt, dass eine praktische Methode der perspektivischen Darstellung zeigt.

 

In der Spätrenaissance sind als besondere Werke die von Daniel Barbaro und Barozzi di Vignola zu nennen. Letzterer führte die vertikalen Distanzpunkte ein. Zum Schluss sei noch das Werk des Dekorationsmalers Andrea Pozzo aus Trient erwähnt, welches den Namen "Perspectiva pictorum et architectorum" trägt und 1693 erschien.